MIRIAM YUNG MIN STEIN

Berlin Seoul Berlin

Textauszug aus "Berlin, Seoul, Berlin"

Vom gängigen, deutschen Schönheitsideal war ich weit entfernt. Ich war weder blond noch brünett, hatte weder blaue noch grüne Augen. Da alle Mitglieder meiner Familie hellblond und blauäugig waren, zog ich lange Zeit blonde, strahlende Schönheiten dem dunklen Typ vor. Während ich aufwuchs, war ich mir nicht sicher, ob es so etwas wie schöne Frauen aus Korea oder Asien gäbe, denn in Osnabrück kannte ich keine. Doch hier liefen viele hübsche Frauen durch die Straßen, Frauen, die mit der Selbstverständlichkeit groß geworden sind, dass ihr Gesicht normal und attraktiv war. Wie eine durchsichtige Kopie nahm ich in diesem Augenblick mein eigenes Bild in der Fensterscheibe des Cafés wahr. Ein durchsichtiger Ausdruck vor der Kulisse der Stadt.

Ich blieb im Café, denn der Regen prasselte gnadenlos auf Seoul nieder. Der Himmel teilte sich, es schüttete ununterbrochen, bis das Licht von den Wassermassen aufgesogen war und nichts als eine diffuse Suppe über der Stadt hing. Ich blickte von meinem trockenen Platz am Fenster in den Regen hinaus, ein Meer von Beinen und bunten Regenschirmen zog vorüber, und ich griff in meine Tasche, um mich mit etwas Musik abzulenken. Doch kein David Bowie und keine Jesus and Mary Chain, kein Pulp und keine Libertines passten nach Seoul, in die in einem Wolkenbruch versunkene Megastadt, die mir so fremd vertraut, so unfassbar war.

Zwei Stunden noch, bis Robert und Hye-Yoon mich abholen würden. Ich holte mir noch einen Kaffee und ein Sandwich und wartete. Das Leben in Berlin prägt einen hinsichtlich der Essgewohnheiten. Zum Essen auszugehen ist an vielen Plätzen in Ostberlin günstiger oder ebenso günstig wie zu Hause zu kochen, was mich oft in diese kleinen Restaurants und Imbisse treibt, anstatt am eigenen Herd zu stehen. Setzte ich diese Angewohnheit anderswo fort, stellte ich bald fest, dass dieses Verhalten immense Löcher ins Budget fraß. Trotzdem liebte ich es, zum Essen zu gehen. Bereits seit meiner Kindheit war Essengehen etwas Besonderes. Vielleicht drei-, viermal im Jahr gingen wir mit der ganzen Familie in ein Restaurant. Schwer zu sagen, was mich als Kind so an Restaurantbesuchen faszinierte, doch ich liebte sie.

Brigitte | 05.11.2008

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von Julia Müller

Als Baby wird Miriam Yung Min Stein in einem Pappkarton ausgesetzt. Sie wächst bei Adoptiveltern in Osnabrück auf, macht nach der Schule Karriere - und kommt doch nirgendwo richtig an. Bis eine Reise in die fremde Heimat Südkorea ihr Leben verändert.

Mit 23 führt Miriam Yung Min Stein zum ersten Mal Regie bei einem Musikvideo, später schreibt sie mit Christoph Schlingensief ein Drehbuch, arbeitet in den USA an einen Werbefilm. London, New York, Berlin - Miriam ist überall. Und fühlt sich doch nirgends zu Hause.

1977 wird Miriam im südkoreanischen Daegu geboren. Ihre Eltern geben sie zur Adoption frei. Aufgewachsen ist sie bei ihren Adoptiveltern in Osnabrück. Die fremde Heimat Korea hat Miriam jahrelang verdrängt. Bis zur Sinnkrise: Was will ich eigentlich im Leben? Und wo ist mein Platz? Auf der Suche nach ihrer Identität reist Miriam nach Korea. In ihrem ersten Buch "Berlin, Seoul, Berlin" beschreibt sie diese anstrengende, aber erfüllende Reise zu sich selbst.

Interview mit Miriam Yung Min Stein

In Korea warst du völlig fremd - und trotzdem zum ersten Mal Teil der Masse, weil du rein äußerlich nicht mehr aufgefallen bist. Was war das für ein Gefühl?

Das war total seltsam. Natürlich bin ich auch in Deutschland nicht permanent angestarrt worden. Aber ich habe mich immer ein bisschen wie ein bunter Hund gefühlt. In Korea sahen auf einmal alle aus wie ich. Das war angenehm, aber auch komisch - zumal ich die Sprache nicht spreche. Da habe ich bemerkt, wie viel Identität auch darüber entsteht, dass man sich verständlich machen kann.

Hast du inzwischen Koreanisch gelernt?

Ich hätte schon Lust darauf. Aber das ist für mich genauso schwer wie für jeden anderen Deutschen. Es gibt im Koreanischen Laute, die ich einfach nicht nachmachen kann.

War Korea so, wie du es dir als Kind ausgemalt hast?

Es war ganz anders als in meiner Vorstellung. Ich wusste, dass man mich auf der Straße in einem Pappkarton gefunden hat. Dementsprechend waren die Bilder in meinem Kopf. In den letzten 30 Jahren hat sich Korea wahnsinnig verändert. Früher war es ein Dritte-Welt-Land, inzwischen ist es ein hochmoderner Technologiestaat.

Brigitte | 05.11.2008

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von Julia Müller

Kulturelles Chaos

Du schreibst, dass du manchmal das Gefühl hattest, im falschen Land zu Hause zu sein. Wo ist deine Heimat?

Rein geografisch kann ich das schwer sagen. Aber ich bin mittlerweile sehr zufrieden mit dem, was ich bin. Und in Berlin fühle ich mich zu Hause.

Deine leiblichen Eltern hast du in Korea nicht getroffen. Trotzdem merkt man, dass du auf deiner Reise viele Antworten für dich gefunden hast.

Es ging mir auch nicht so sehr darum, meine Eltern zu finden. Ich habe mich gefragt, wer bin ich, was will ich im Leben, wo ist mein Platz ist. Auf der Reise habe ich gemerkt, dass Korea ein tolles Land ist. Das Fremde in mir, in meinem Gesicht, ist mir quasi vorgestellt worden. Das hat mir wahnsinnig geholfen.

Was wäre passiert, wenn ich nicht adoptiert worden wäre - beschäftigt dich diese Frage?

Auf jeden Fall. Als Adoptierte kennst du weder deine Eltern noch deinen Namen oder Geburtstag. Das lädt zum Fantasieren ein. Als Teenager habe ich mir die wildesten Geschichten dazu ausgedacht, wo ich herkomme und warum ich so aussehe. Ich frage mich schon, ob ich nicht auch in Korea die gleiche Frau geworden wäre. Ich wäre doch trotzdem relativ intelligent gewesen, relativ beharrlich und fleißig. Hätte ich es nicht auch dort zu etwas gebracht?

Wann hast du erfahren, dass du adoptiert worden bist?

Das wusste ich schon immer. Als ich noch ganz klein war, hat sich meine Mutter mit mir vor den Spiegel gestellt und mir erklärt, dass wir unterschiedlich aussehen. Dass sie trotzdem meine Mutter ist, auch wenn eine andere Mutter mich zur Welt gebracht hat. Meine Eltern haben das ziemlich gut gemacht.

Trotzdem merkt man an einigen Stellen im Buch, dass du wütend bist und mit deiner Situation als Adoptierte lange zu kämpfen hattest. Kannst du jetzt verstehen, warum deine Eltern sich damals dafür entschieden haben?

Verstehen kann ich das sehr gut. Ich habe in Korea selbst so eine Situation mit einem kleinen Waisenkind erlebt. Natürlich will man es sofort einpacken und mitnehmen. Trotzdem sehe ich Adoptionen nach wie vor sehr kritisch. Die Frage ist nämlich, ob man sich über die Konsequenzen bewusst ist. Wie schwierig es zum Beispiel ist, ein traumatisiertes Kind in die Familie zu integrieren. Denn egal wie klein du bist, du kriegst schon mit, wenn deine Mutter dich weggibt. Ich hatte früher immer Heimweh. Und als Baby habe ich nachts wahnsinnig viel geweint. Das ist hart - auch für die Eltern. Und dann das kulturelle Chaos, das eine Adoption auslösen kann.

"Man muss den Müttern helfen"

Inzwischen sind Auslandsadoptionen fast schon schick. Stars wie Madonna oder Angelina Jolie reisen nach Afrika und suchen sich dort ein Kind aus. Was hältst du davon?

Ich finde die Berichterstattung darüber sehr einseitig und verkitscht, besonders bei der Jolie-Pitt-Familie. Außerdem ist das alles extrem kurz gedacht. Wenn eine schöne weiße Frau wie Madonna in die Waisenhäuser geht und sich ein Kind aussucht - was erzählt man dann den Kindern, die zurückbleiben? Auch wenn die besten Absichten hinter einer Adoption stecken, muss man fragen dürfen, ob die Kinder wirklich damit klar kommen.

Man könnte auch argumentieren, dass es trotz allem besser ist, einem Kind Wärme und Liebe zu geben, statt es in einem Waisenhaus aufwachsen zu lassen.

Wenn man einem Kind helfen will, warum nicht im eigenen Land? Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen: Man muss den Müttern helfen. In Korea wurden über 200.000 Kinder aus dem Land adoptiert. Was hat das für diese 200.000 Frauen bedeutet? Ihnen wurde vermittelt, dass sie nicht gut genug sind, um ihre eigenen Kinder großzuziehen. Das ist anmaßend vom Westen. Und es ist anmaßend zu denken, dass wir diesen Kindern immer Liebe und Wärme geben könnten. Eine Adoption ist eine sehr, sehr große Entscheidung.

Welche Reaktionen bekommst du auf dein Buch?

Von jungen Adoptierten habe ich viele positive Rückmeldungen bekommen. Es gab aber auch ganz böse Reaktionen von Adoptivmüttern, die jetzt noch kleinere Kinder haben. Ich will natürlich niemandem verbieten, Kinder zu adoptieren. Aber die jetzt erwachsenen Adoptierten haben das Recht auf eine kritische Debatte.